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Oh Hilfe-die Pubertät!



Oh Hilfe- die Pubertät!

 

Diesen Ausruf höre ich in meiner Praxis mehr als oft.

Oft wird dieser Ausruf als »Enttäuschung« bezeichnet und vieles mehr an Gefühlen zu diesem Thema.

Die Familie steht in diesen Zeiten vor großen Herausforderungen und suchen oftmals vergebens nach Unterstützung.

 

Die Pubertät unterscheidet sich sehr deutlich von Kind zu Kind und von Junge oder Mädchen.

 

In unserer Gesellschaft wird auch oftmals unterschiedlich mit den einzelnen Anliegen (inklusive des Verhaltens) eines jeden pubertierenden Kindes umgegangen.

 

Hier bekommen Sie einen Überblick über das Thema:

 

Was bei Kindern in der Pubertät passiert – körperlich, neurologisch, emotional – und was Sie als Elternteil oder Bezugsperson dabei unterstützen können.

 


🧠 Was passiert im Gehirn von Jugendlichen?

 

Die Pubertät ist nicht nur eine körperliche, sondern vor allem eine neurologische Baustelle:

 

1. Umbau im Gehirn (Neuroplastizität)

  • Das Gehirn wird quasi „neu verkabelt“ – besonders im präfrontalen Kortex, der für Planung, Impulskontrolle und Urteilsvermögen zuständig ist.

  • Der Umbau geschieht von hinten nach vorne, daher sind emotionale Reaktionen (limbisches System) oft stärker als logisches Denken.

2. Emotionen vs. Kontrolle

  • Das emotionale Zentrum (Amygdala) ist schneller reif als der Teil für Kontrolle – das erklärt launische, impulsive, überreagierende Momente.

  • Jugendliche fühlen intensiver, aber haben noch nicht alle Tools, damit umzugehen.

3. Dopamin und Risikoverhalten

  • Jugendliche sind besonders empfänglich für Belohnung – das Dopamin-System feuert stärker.

  • Das kann zu Risikosuche, Neugier, aber auch Stimmungsschwankungen führen.


👁️‍🗨️ Wie verändert sich die Wahrnehmung in der Pubertät?

 

  • Ich-Bezug steigt: Jugendliche fühlen sich oft beobachtet („Spotlight-Effekt“) und stark mit sich selbst beschäftigt.

  • Gerechtigkeit und Moral werden neu überdacht – sie entwickeln ein starkes Gerechtigkeitsempfinden.

  • Freundschaften und Zugehörigkeit sind zentral – Gleichaltrige werden wichtiger als Eltern.

  • Identitätssuche: Fragen wie „Wer bin ich?“ und „Was will ich?“ werden zentral – auch mit Ablehnung und Protest.


🧭 Wie können Eltern & Pädagog*innen unterstützen?

 

💡 Haltung & Beziehung

  • Geduldig bleiben, auch wenn der Ton rauer wird – das ist nicht persönlich gemeint!

  • Verlässlicher Ansprechpartner bleiben, auch wenn sie sich abgrenzen.

  • Dialog statt Kontrolle: Frag nach Meinungen, statt nur Regeln zu setzen.

  • Freiraum UND Halt bieten – ein „sicherer Hafen“ sein, zu dem sie zurückkehren können.

🛠️ Praktische Ideen:

  • Familienrituale pflegen, auch wenn sie abblocken – es bleibt im Herzen wichtig.

  • Emotionale Bildung: Hilf ihnen, Gefühle zu benennen und zu verstehen.

  • Fehler zulassen – Pubertät ist Übungszeit fürs Leben.

  • Mitbestimmung ermöglichen – z. B. bei Regeln, Alltagsentscheidungen.


📚 Medien, Bücher & Unterstützung für Eltern und Jugendliche

 

👨‍👩‍👧 Für Eltern:

  1. „Pubertät – wenn Erziehen nicht mehr geht“ – Jan-Uwe Rogge

    Humorvoll und verständlich – ein Klassiker mit vielen Aha-Momenten.

  2. „Lob der Pubertät“ – Jesper Juul

    Beziehung statt Erziehung – einfühlsam und wertschätzend.

  3. „Das Gehirn der Jugendlichen“ – Frances E. Jensen

    Erklärt wissenschaftlich, was im Teenie-Kopf passiert – super aufbereitet.

  4. Podcast-Tipp:

    „Mit Kindern wachsen“ oder „Der Pubertäts-Überlebensguide“ – gute Gespräche auf die Ohren.


📘 Für Jugendliche (und Eltern, die ihre Sicht verstehen wollen):

 

  1. „Was geht in meiner Pubertät ab?“ – Dr. med. Sommer-Team (Bravo)

    Aufklärung, Körper, Gefühle – locker und altersgerecht.

  2. „Wie viel Mensch verträgt die Welt?“ – Jan Weiler

    Humorvolle Kolumnen über das Leben mit pubertierenden Kindern – sehr ehrlich.

  3. „Mein Gehirn macht mich fertig“ – Nicola Morgan

    Für Jugendliche ab 12 – verständlich und cool erklärt, was im Kopf abgeht.


🎮 Materialien, Tools, Websites:

 

  • feel-ok.de – Plattform für Jugendliche (Themen: Körper, Stress, Drogen, Mobbing u. v. m.)

  • www.mein-körper-gehört-mir.de – Prävention, Aufklärung

  • „Emotionskarten für Teens“ – unterstützend in Beratung oder Elterngesprächen

  • „Gehirn erklärt – YouTube-Kanal (MaiLab, Quarks etc.)“ – gut verständlich für Jugendliche


 



⚖️ Vergleich: Pubertät bei Jungen vs. Mädchen

 

 

Aspekt Mädchen Jungen
Beginn der Pubertät Früher: meist zwischen 9 und 11 Jahren Später: meist zwischen 11 und 13 Jahren
Körperliche Entwicklung Früher Brustwachstum, Wachstumsschub, Menstruation Hoden- und Peniswachstum, Stimmbruch, später Wachstumsschub
Hormone Östrogene führen zu Reifung von Brust, Gebärmutter & Menstruation Testosteron bewirkt Muskelaufbau, Körperbehaarung, männliche Geschlechtsmerkmale
Wachstum Wachstumsschub oft mit 11–12, endet früher Wachstumsschub meist ab 13–14, oft kräftiger und länger
Frühe Pubertät (Frühreife) Häufiger bei Mädchen Seltener
Emotionale Reaktion Häufig nach innen gerichtet (z. B. Rückzug, Selbstzweifel, Stimmungsschwankungen) Häufig nach außen gerichtet (z. B. Reizbarkeit, Wut, Impulsivität)
Körperbild & Selbstwahrnehmung Oft stärker von Unzufriedenheit betroffen (z. B. durch Schönheitsideale) Häufiger Wunsch nach Stärke & Unabhängigkeit
Soziales Verhalten Stärkere Orientierung an Beziehungen und Freundschaften Mehr Orientierung an Status, Leistung, Gruppenzugehörigkeit
Selbstreflexion Häufiger, intensives Nachdenken über „Wer bin ich?“ Eher handlungsorientiert, manchmal mit inneren Konflikten, aber weniger verbalisiert
Kommunikation mit Eltern Tendenziell offener, wenn Beziehung stabil Oft distanzierter, aber Loyalität zur Familie bleibt

 

 


Wie können wir Jungen und Mädchen in der Pubertät gerecht werden?

 

Sinnvoll ist eine geschlechtersensible, aber keine stereotype Begleitung.

🔍 Was heißt das konkret?

🎯 JA – unterschiedlich, weil:

  1. Körperliche Reifung ist verschieden schnell.

    • Mädchen sind oft früher dran – brauchen daher ggf. früher Aufklärung und emotionale Begleitung.

    • Jungen entwickeln oft später Körperbewusstsein oder Interesse an Sexualität – brauchen Raum, ohne Druck.

  2. Kommunikationsstile und Ausdrucksformen können verschieden sein.

    • Mädchen sprechen oft leichter über Gefühle → Gespräche helfen bei Sortierung.

    • Jungen zeigen Gefühle oft eher über Verhalten → brauchen Hilfe, Emotionen zu benennen.

  3. Gesellschaftliche Erwartungen unterscheiden sich.

    • Mädchen erleben häufiger Druck in Bezug auf Aussehen, Perfektion, "nett sein".

    • Jungen stehen öfter unter dem Druck, stark, cool, unverwundbar zu sein.

  4. Risiken und Herausforderungen sind teils geschlechtsspezifisch.

    • Mädchen: Essstörungen, Selbstzweifel, emotionale Belastung

    • Jungen: Gewalt, Risikoverhalten, Rückzug, Wut

🙅‍♂️ NEIN – nicht unterschiedlich im Sinne von:

  • Nicht nach dem Motto: „Mädchen sind so, Jungs sind so.“

  • Keine Rollenklischees bedienen: Z. B. „Jungs reden nicht über Gefühle“ → doch, aber sie brauchen vielleicht andere Zugänge!

  • Keine Erwartungen aufdrücken: Z. B. „Du bist ein Junge, du musst stark sein!“ oder „Mädchen weinen halt öfter“ – solche Sätze wirken wie „Schubladen“.


💡 Was stattdessen sinnvoll ist:

💬 Individuell begleiten – geschlechterbewusst, aber nicht Geschlechter-fixiert.

  • Hör zu, was das Kind braucht – unabhängig vom Geschlecht.

  • Biete beide Welten an: z. B. Gespräche UND Action, Rückzug UND Nähe, Logik UND Gefühl.

  • Stärke, Selbstbewusstsein und Selbstwahrnehmung: Egal ob Junge oder Mädchen – „Was fühlst DU? Was brauchst DU?“

  • Thematisiere Rollenbilder: „Was denkst du, was Jungs/Mädchen dürfen? Was findest du davon gut oder unfair?“


🧰 Praxisideen:

  • Jungenrunden / Mädchenrunden in Gruppen: Geschützte Räume zum Austausch – sehr wirkungsvoll!

  • Gefühlstagebücher oder Emotionskarten: helfen allen Geschlechtern, sich besser auszudrücken.

  • Mentor:innen oder Vorbilder: Vertrauenspersonen, mit denen Jugendliche sich identifizieren können – unabhängig vom Geschlecht.



Für Ihre Kinder und auch für Sie stehe ich zu diesem Thema gerne beratend zur Verfügung.

Aus der Neurologie und Neurobiologie (Neurobiologie ist ein interdisziplinäres Forschungsgebiet, das sich mit der Funktionsweise und dem Aufbau des Nervensystems von Lebewesen befasst. Sie umfasst dabei die Untersuchung auf zellulärer, molekularer und systemischer Ebene, um die Mechanismen der Informationsverarbeitung im Nervensystem zu verstehen.) gäbe es noch viel mehr zu erzählen, jedoch würde dies hier den Rahmen sprengen.

Hoffe, einen hilfreichen knappen Einblick geben zu können.

Liebe Grüße

Andrea Berghaus